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“Den Differenzen nachspueren”

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Article of Andreas Broeckmann on Documenta12 found on rohrpost.

Den Differenzen nachspueren
(nach einem ersten schnellen Rundgang durch die d12 in Kassel)

Andreas Broeckmann

Es sind die Tage der Noergler und Besserwisser. Buergel und Noack haben mit der weitgehenden Abwesenheit von ‘safe bets’ und ‘big names’; mit dem gestalterisch und kuratorisch ziemlich ungluecklichen Aue-Pavillion; mit wenig pressemaessig verwustbarer, fotogener Kunst (kein Wunder, dass man so viel von Friedls Giraffe und Hazoumes Fluechtlingsboot hoert und sieht); u.ae., einige Flanken aufgemacht, in die sich die feindlichen Truppen der KritikerInnen und KuratorenkollegInnen nun mit Lust hineinstuerzen. Und so kann man sich denn jetzt auf die Treppe vor dem Friedericianum hocken, auf Sanja Ivekovics Unkrautfeld blicken und Schwachstellen sammeln. Persoenlich neige ich dazu, diese miesepetrige Art des Muessiggangs zu vermeiden. Dies nur zur Warnung vorweg.

Man mag als selbstbewusster Mensch nicht gern gesagt bekommen, wie man gucken muss. Roger Buergel hat das in seinen Interviews leider ein bisschen oft gemacht. Aber recht hat er doch, wenn er sagt, man muesse sich bei dieser documenta 12 auf die Unwaegbarkeiten einlassen, muesse sich Zeit nehmen fuer die Erkundung ungesicherten Terrains. So wie sich die Ausstellung der journalistischen Suche nach ‘Leit-Werken’ widersetzt, so stiftet sie auch Verwirrung durch die Integration von historischen Arbeiten, vor allem aus den 1960er und 70er Jahren, und durch die Praesentation von zentralasiatischen und afrikanischen Textilien an unterschiedlichen Stellen der weitlaeufigen Ausstellungsorte. Die Kuratoren sprachen zur Begruendung von der ‘Migration der Form’, und waehrend einige Kritiker das Nebeneinanderstellen des nur formal Verwandten fuer kurzschluessig halten, wuerde ich dafuer plaedieren, den Kontrast zu nutzen, um ueber die Werke jeweils neu nachzudenken. Es ist ja nicht gesagt, dass die Dinge, die da aufeinandertreffen, durch diese Naehe auch Analogien entwickeln muessen – so als sei die Bedeutung des einen irgendwie ansteckend fuer das andere. Im Gegenteil: bisweilen ist der Kontrast des aehnlich nur Erscheinenden sehr lehrreich. Kurz-Schluessig erscheint dagegen vielmehr das schnelle Verwerfen der offenen, oeffnenden kuratorischen Geste.

Waehrend einige KuenstlerInnen penetrant oft auftauchen und die Ausstellung (wie jede andere, und zum Glueck) ihre redundanten Strecken hat, in denen man sich flanierend erholen kann, gibt es doch auch reichlich Anlass fuer einige spannende Entdeckungen und Neuentdeckungen. Unter den historischen Positionen waren das fuer mich die Werke der tschechischen Kuenstlerin Bela Kolarova, die in den 1960er Jahren interessante abstrakt-formale Assemblagen und Photogramme aus technisch raffinierten Alltagsgegenstaenden herstellte. (Neben den Druckknopf-Arbeiten im Aue-Pavillion sollte man die kleine Rasierklingen-Assemblage in der Neuen Galerie nicht verpassen!) Ueberzeugend auch die material-sensiblen Arbeiten der indischen Kuenstlerin Sheela Gowda, u.a. in der Neuen Galerie eine Rauminstallation mit verbrannten Ascheresten, die eine grosse zeitliche Tiefe mit sinnlicher Fragilitaet und (olfaktorischer) Intensitaet verbindet.

Das Interessante an der Mischung historischer und aktueller Positionen (ich schaetze, dass gut drei Viertel aller gezeigten Arbeiten aus den letzten fuenf Jahren stammen) ist meines Erachtens neben dem immer nuetzlichen Effekt des ‘manche auch heute relevanten kuenstlerischen Positionen sind schon 40 Jahre alt’ (und wurden oftmals von Frauen gesetzt), dass auch die neueren Werke in diesem Nebeneinander gestaerkt werden; denn es wird deutlich, dass sie sich auch im Vergleich mit reiferen, historischen Positionen durchaus behaupten koennen. Natuerlich nicht durchweg, aber wie der geografisch mutige Querschnitt durch die aktuelle Kunstproduktion, so regen auch diese historischen Schnitte und Assemblagen dazu an, den Differenzen nachzuspĆ¼ren.

Mein spektakulaerstes Erlebnis hatte ich in der documenta-Halle in der von orange-farbenem Licht durchfluteten Installation des Spaniers Inigo Manglano-Ovalle, in der man sich einige Minuten aufhalten muss, bis man wirklich sehen kann, was es zu sehen gibt. Ein Blick zurueck in die Haupthalle vermittelt dann nicht nur eine Begegnung der anderen Art mit der eigenen Retina, sondern bietet auch eine ueberzeugende Metapher fuer die Art und Weise, wie stark unsere Sicht auf die Welt durch die ideologische ‘Einfaerbung’ der eigenen Umgebung gepraegt ist. Ein paar Schritte weiter gibt es dann die politisch-virtuelle Konkretisierung dieser Erfahrung, wo das bedrohliche Modell eines Chemielabors, dessen angebliche Existenz den Irakkrieg mit rechtfertigte, zwar greifbar, aber doch voellig irreal im Schwarzweissdunkel der 3D-Animation Wirklichkeit daemmert.

Die documenta 12 bietet die Chance auf eine vielfaeltige Horizonterweiterung. Dieses Angebot muss man nicht annehmen, aber man kann. Bescheiden anmutendes Master-Dokument der Veranstaltung sind wahrscheinlich die zahlreichen Zeitschriften und Magazine aus der ganzen Welt, die im Eingang der documenta-Halle einen beeindruckenden Einblick geben in die intellektuelle Produktion und Reflexion, in deren Kontext die Ausstellung sich mit ihrer Werkauswahl stellt. Der damit verbundene Anspruch ist immens, bringt diese Sammlung doch eine einschuechternde Anzahl von Perspektiven auf die weltweite zeitgenoessische Kunstproduktion und Kulturkritik ins Spiel, die sich auf der Achse Wien-Kassel-Berlin noch kaum in den Blick nehmen, geschweige denn beurteilen lassen. Fuer den Mut, sich selbst und die BesucherInnen der documenta 12 in dieses globale intellektuelle und kuenstlerische Spannungsfeld hineinzustellen, gebuehrt dem Team um Buergel und Noack Dank. Es ist ein Floss, das sie uns zur Ueberfahrt anbieten, keine sichere Faehre, und schon gar keine Jacht. Aber ich bin zuversichtlich, dass die, die mitfahren, bereichert ans andere Ufer gelangen werden.

(abroeck, Berlin, 15. Juni 2007)

Written by Aram

June 15th, 2007 at 9:58 pm

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