FOSSILIEN DES SPÄTKAPITALISMUS
Aram Bartholl präsentiert weggeworfene E-Scooter als Kunstwerke

Seit einem guten Jahr sind E-Scooter auf deutschen Straßen zugelassen – seitdem überschwemmen Leihroller unsere Innenstädte. Die einen sehen in ihnen ein hippes Fortbewegungsmittel, die anderen ein Ärgernis. Für den Künstler Aram Bartholl sind sie Material. Er stellt sie als Readymades aus oder baut aus ihnen Skulpturen – zuletzt im Kunstraum Kreuzberg in Berlin. Oliver Kranz hat in dort getroffen.

Die E-Scooter, die Aram Bartholl verwendet, sind mit einer dicken Schlammschicht überzogen. Auf einigen haben sich kleine Muscheln festgesetzt. Bis vor Kurzem lagen sie in einem Berliner Kanal

AB
Man sieht die sehr gut auf dem Grund liegen, wenn man da eine Weile kuckt. Ich habe jetzt fünf Roller und zwei oder drei Räder dort rausgezogen. Das ist schon wie eine Performance für sich selber.

Aram Bartholl hat Fotos der Bergungsaktion ins Internet gestellt. Obwohl die E-Scooter höchstens ein Jahr im Wasser lagen, sehen sie wie antike Artefakte aus.

AB
Ich habe sie einfach so trocknen lassen und als Objets trouvés, als Readymade, ausgestellt in diesem Kunstraum Kreuzberg. Sie haben eine ganz andere Ausstrahlung, hinterfragen auch sehr schön diese ganze Business-Logik…

Aram Bartholl meint die Logik, nach der es sich lohnt, tausende E-Scooter in Innenstädte zu bringen, in der Hoffnung, dass sich die Menschen daran gewöhnen und sie regelmäßig nutzen.

AB
Das Geld ist quasi schon abgeschrieben, wenn diese Objekte angeschafft werden. Die kosten natürlich alle ziemlich viel Geld mit den Batterien und der ganzen Technik, aber es wird sehr sorglos auch von den Firmen damit umgegangen. Und dementsprechend auch von den Menschen in der Stadt, weil sie natürlich ein Ärgernis sind, wenn sie im Weg stehen usw. Und dementsprechend auch Ziel werden von Vandalismus.

Die E-Scooter, die vor einem Jahr noch als Vorboten einer neuen, umweltfreundlichen Mobilität galten, werden heute eher kritisch gesehen. Die Hoffnung, dass viele Menschen vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen, weil sie die letzte Meile mit E-Scootern zurücklegen können, hat sich nicht erfüllt. Das ungute Gefühl, dass der knappe öffentliche Raum durch das Aufstellen all der Scooter und Leihfahrräder noch knapper wird, aber bleibt. – Aram Bartholl interessiert sich für die Gefährte auch deshalb, weil sie mit dem Internet verbunden sind. Jede Verleihfirma hat eine App…

AB
Ich beobachte schon lange das Internet und wie sich die Dinge mit dem realen Leben verquicken. … Und heute sind das natürlich alltägliche Themen, die auch in der Politik riesige Auswirkungen haben. Wir haben ja so einen durchgedrehten Präsidenten in den USA, wenn der auf Twitter irgendetwas schreibt, dann gehen die Börsenkurse rauf und runter. Also das Spiel des Digitalen hat sich voll entfaltet, kann man sagen. Die Trennung „das ist analog, das ist digital“ funktioniert nicht mehr, weil alles zusammenhängt.

Bei den E-Scootern, die Aram Bartholl aus dem Kanal gezogen hat, ist die Verbindung zum Internet vermutlich gekappt – aber als Symbol funktionieren sie immer noch. „Fossilien des Spätkapitalismus“ nennt sie der Künstler. Gerade noch lagen sie als Schrott im Wasser, nun sind sie Kunst…

AB
Die werden zu sehen sein auf der Berlin Art Week in der Akademie der Künste. Und dort gibt es eine Diskussion: „Die letzte Meile“, die verschiedene Themen in der Richtung anspricht. … Es gibt auch nächste Woche eine Ausstellung in Kroatien in der Kulturhauptstadt Rijeka. Da werden auch Roller und Fahrräder zu sehen sein.

Denn als schlammbedeckte Fossilien sind die Gefährte sehr beliebt. Aram Bartholl wird noch viele Readymades aus ihnen bauen…

Oliver Kranz über Aram Bartholl, der Skulpturen aus weggeworfenen E-Scootern und Leihfahrrädern baut. Wer nach Rijeka fahren möchte – dort sind sie ab morgen zu sehen. In der Akademie der Künste in Berlin am 10. September…

SWR2 Journal am Morgen
Sendung am: 20.8.2020
Autor: Oliver Kranz